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Die Macht der Berührung – Oxytocin

by Markus Forster


Das Bedürfnis nach Verbundenheit mit anderen Personen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Nähe, Zusammenhalt und Harmonie konnten für unsere Vorfahren den entscheidenden Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. In unserer heutigen stark individualistischen Gesellschaft wird dieses Urbedürfnis nach Nähe meist vernachlässigt. Ein starkes Familienverhältnis, gute Freundschaften und angenehme soziale Kontakte sind jedoch enorm wichtig!


Wir Menschen hatten es in der Steinzeit zwar viel schwerer, an Nahrung zu kommen, dafür war unser Bedürfnis nach körperlicher Nähe um einiges leichter gedeckt. Das enge Zusammenleben mit anderen Gruppenmitgliedern ist heute eine Seltenheit und die Bedeutung von Nähe für unser Wohlbefinden wird massiv unterschätzt! Denn so wie Nahrung unseren Hunger stillt, will auch unser “Hauthunger” durch Nähe und Berührungen gestillt werden.


Körperliche Nähe ist gesund!

Die psychische und gesundheitliche Bedeutung von körperlicher Nähe ist in weiten Kreisen unbekannt, obwohl sie wissenschaftlich längst erwiesen wurde! Körperliche Nähe regt zum Beispiel Wachstum und Entwicklung an. Studien mit Ratten zeigen, dass viel Nähe und Geborgenheit in der Kindheit zu ruhigeren, sozialeren, stressresistenten und weniger ängstlichen Persönlichkeiten führt. Auch die Mutter fühlt sich wohl und profitiert von den positiven Effekten der körperlichen Nähe, wenn sie ihr Junges umsorgt.


Woran liegt das? Schon als sechs Wochen alter Embryo nehmen wir Berührungen wahr. Die Haut ist die “Mutter unserer Sinne”, denn aus ihr entwickeln sich erst später die anderen Sinnesorgane. In der Haut befinden sich unzählige Sinnesrezeptoren, die durch Temperatur, Berührung, Druck oder Verletzungen aktiviert werden und die entsprechenden Informationen ans Gehirn leiten. Mein Gehirn erhält somit viele seiner Informationen aus der Außenwelt über die Haut. Und diese beeinflussen mich weit mehr, als mir bewusst ist! Reize auf meiner Haut können unbewusst Angst und Verteidigungs- oder Fluchtreaktionen auslösen, aber auch Wohlbehagen und Gelassenheit. Bei Wärme und angenehmen Berührungen produziert mein Gehirn das Hormon Oxytocin. Und dieses Hormon kann eine ganze Menge!


Das “Sozialhormon” Oxytocin

Besonders bekannt ist Oxytocin für seine wichtige Rolle bei der Geburt, da es die Wehen einleitet und den Milchfluss auslöst. Das Hormon prägt die Beziehung zwischen Mutter und Kind und ist generell wichtig für die sozialen Interaktion mit anderen Menschen. Oxytocin beeinflusst das menschliche Bedürfnis nach Nähe und verringert die Angst vor unbekannten Menschen. Es hilft uns dabei, in unserer Kommunikation emotionale Botschaften und Signale zu erkennen und angemessen auf diese zu reagieren. Deshalb ist Oxytocin besonders in der Beziehung zu Kindern und Partnern wichtig, weil es uns ermöglicht, auf ihre Gefühle und Wünsche einzugehen. Alle soziale Erfahrungen, die wir gemacht haben, werden dank Oxytocin im bewussten oder unbewussten Gedächtnis abgespeichert.


Und es kann noch viel mehr! Oxytocin regt das Wachstum an, verringert Stress, senkt den Blutdruck, lindert Schmerzen und aktiviert den Magen-Darm-Trakt. Außerdem macht Oxytocin glücklich, weil es die Produktion von Dopamin und Serotonin (Glückshormone) fördert!


Berührung und Oxytocin

Besonders langsames, einfühlsames Streicheln der Haut aktiviert Oxytocin und seine unzähligen positiven Auswirkungen. Generell lösen Berührungen jeglicher Art, die als angenehm und positiv empfunden werden, ein Gefühl von Ruhe und Frieden aus und fördern Heilung und Wachstum. Weil Oxytocin aber schnell wieder abgebaut wird, wirkt es nur kurzfristig. Deshalb will es mehrmals und längerfristig verabreicht werden, damit sich die Rezeptoren vermehren und die positiven Effekte mehrere Wochen andauern können.


Wie ich vorhin schon angesprochen habe, hilft uns Oxytocin in unserer Beziehung mit anderen Menschen. Und durch Beziehungen wird es auch produziert! Speziell in Eltern-Kind Beziehungen und Paarbeziehungen wird Oxytocin durch Nähe und Berührungen ausgeschüttet. Mit der Zeit reicht die bloße Anwesenheit der geliebten Person, um die positiven Effekte auszulösen. Diese verlieren sich, wenn wir von der anderen Person getrennt sind, was zu “Entzugserscheinungen” führen kann. Deshalb ist es besonders schwierig, sich von einer nahestehenden Person zu trennen, auch wenn tausend gute Gründe für eine Trennung sprechen. Es ist sozusagen auch ein körperlicher “Entzug” dabei, durch den ich durch muss. Der Verlust des Oxytocin, welches ich durch die Nähe eines geliebten Menschen produziert habe, fühlt sich ähnlich an wie eine körperliche Wunde. Berührungen und Nähe von Menschen, die mich trösten, sind die beste Medizin gegen seelische Schmerzen und lindern sogar körperliche Schmerzen!


Nicht nur bei Familien- und Liebesbeziehungen, sondern auch bei Freundschaften und anderen herzlichen Beziehungen produziere ich Oxytocin. Zwar in geringeren Mengen, aber ausreichend, um freudig und entspannt zu reagieren, wenn ich den anderen Menschen treffe. Auch in der Gruppe kann Oxytocin entstehen und zu einem starken Gefühl von Zusammenhalt und Einheit beitragen. Schon das Singen in einem Chor lässt erwiesenermaßen den Oxytocinspiegel steigen. Darum ist es unglaublich wichtig, mit anderen Menschen zusammen zu sein, statt alleine vor dem Computer oder Fernseher zu sitzen!


Übrigens schüttet auch die innige Beziehung mit einem Haustier geringe Mengen an Oxytocin aus. Der enge Kontakt und das Streicheln, ja sogar schon die Anwesenheit eines geliebten Tieres verbessert somit die Gesundheit und soziale Fähigkeiten.


Falls man keinen Partner, kein Kind und auch kein Haustier für tägliche Berührungen und Streicheleinheiten hat, bietet sich auch eine Massage an. Mittlerweile belegen zahlreiche Studien, dass Massagen viele wohltuende Auswirkungen haben, unter anderem durch die Produktion von Oxytocin. Auch ein Friseurbesuch oder eine kosmetische Behandlung können ähnlich wirken, wenn die Berührung als angenehm empfunden wird. Durch die Wärme und den angenehmen Hautkontakt wird Oxytocin auch beim Schwimmen und (Sonnen-) Baden ausgelöst. Sogar das Arbeiten im Garten kann durch den Geruch und den Kontakt mit der Erde und den Pflanzen auf der Haut geringe Mengen von Oxytocin auslösen.


Oxytocin und Selbstliebe

Auch durch eine liebevolle Berührung des eigenen Körpers wird Oxytocin ausgeschüttet! Ich versuche speziell bei der Pflege von Körper und Haaren besonders achtsam mit mir umzugehen und mir selbst Gutes zu tun. Bei Stress hilft es mir, mich selbst beruhigend zu streicheln oder mich nach dem Duschen mit einer duftenden Lotion einzucremen. Das ist auch eine gute Achtsamkeitsübung, bei der ich lernen kann, mich und meinen Körper zu lieben und anzunehmen!



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